Engelswasser und himmlische Kräfte
- LXIR
- 12. Mai
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Wenn der Jahreskreis seinen Lauf nimmt, geschieht im Frühjahr etwas Besonderes – eine Belebung geht durch die Natur. Mit der wärmer werdenden Sonne scheint auch eine unsichtbare Lebendigkeit zurückzukehren, die alles nach dem Schlaf des Winters neu belebt und beseelt. Diese Lebenskraft nannten die alten Meister den Spiritus Mundi – den Weltgeist, der in einer atmenden Aufwärts- und Abwärtsbewegung durch das Jahr geht.
Gesteuert durch die Position der Erde zur Sonne, bewegt er sich darüber hinaus gegenläufig auf der Süd- und Nordhalbkugel der Erde. Dies führte einige zur Annahme, er würde im Winter in die Erde hinabsteigen, während er in Wahrheit auf die andere Seite der Erde wechselte. Er ist der Träger der ätherischen Lebenskräfte, die Alchemisten – im Gegensatz zu Chemikern – in ihre Werke zu integrieren versuchen.
Logischerweise ergibt sich hier ein Konflikt mit dem Nachweis dieser Kraft. Wie kann man annehmen, eine Energie in die Arbeit einfließen zu lassen, deren unmittelbare Existenz sich einer materiellen Messung entzieht? Gibt es diese Kraft dann überhaupt?
Der Chemiker verneint dies und führt als formgebende Kräfte die biologischen Funktionen der Lebewesen sowie die atmosphärischen Bewegungen der Welt als ausreichende Erklärungen für alle Phänomene an. Der Alchemist hingegen sagt: Die Lebendigkeit an sich ist eine zusätzliche Kraft. Diese Lebenskraft ist nicht allein durch die Materie erklärbar, da das Leben etwas Beseelendes in der Materie darstellt – also die Art und Weise, wie sich Lebendigkeit ausdrückt.
Unabhängig vom Standpunkt, den man hier einnehmen mag, sei gesagt: Die Kraft, mit der sich diese Lebendigkeit manifestiert, lässt Rückschlüsse auf die Menge an Gesamtenergie zu. Diese Energie ist im Mai/Juni am stärksten und im November/Dezember am schwächsten.
Die Entstehung des Engel/Himmelswassers
Wie entsteht dieses Himmelswasser? Wenn die Sonne im Mai auf die Pflanzenwelt scheint, verdunsten Gräser und Bäume über ihre frischen Triebe Unmengen an Grundwasser in die Atmosphäre. Dieses Wasser wurde auf seinem Weg durch die Pflanzenwelt belebt und schwebt nun gasförmig in der Luft. Manche nennen dieses auch das Gebet der Bäume, da dadurch Wolken entstehen und die Bäume ein Tiefdruck erzeugen. Das wiederum ruft die Winde des Meeres herbei und bringt im besten Fall genug feuchte Luft zu ihnen, dass diese abregnen kann.
Wenn es nicht regnete, geschieht was anderes. Nachts, wenn es kühler wird, kondensiert das Wasser unter der Einwirkung der Sternenkraft wieder zu Flüssigkeit. Nach einigen Wochen ist die gesamte Atmosphäre geradezu davon erfüllt. Erst im Herbst senkt sich dieses überschüssige Wasser durch die Nebel der erdigen Jahreszeit zur Erde nieder und zieht sich in den Boden zurück.
Die Alchemisten versuchten, diese Lebendigkeit zu ernten. Am besten gelingt dies durch die Kondensation des atmosphärischen Himmelswassers, auch Engelswasser (wir erinnern uns an das Gebet der Bäume) genannt. In ihm steckt jenes belebende geheime Feuer, das für die besondere Wirkkraft einiger alchemistischer Werke entscheidend ist.
Es heißt sogar, dass aus dem Mai-Tau, also dem Kondenswasser des Mais, der Rote Stein selbst hergestellt werden kann. Dies wird im Mutus Liber durch eine Vielzahl von Arbeitsschritten in Bildern dargestellt, die mit der Ernte großer Mengen Tauwasser im Mai beginnen.
Die Gewinnung des Himmelswassers
Neben der großen Arbeit, den Stein aus Wasser zu bereiten, gibt es eine weitere Möglichkeit, das himmlische Wasser einzufangen:
Dies gelingt mithilfe eines Magneten, der das Wasser aus der Atmosphäre zieht. Der Alchemist verwendet hierfür einen Salzmagneten, wissenschaftlich ausgedrückt ein stark hygroskopisches Alkalisalz. Besonders beliebt für diese Arbeit ist das Salz des Weinsteins – auch Tartarsalz bzw. Kaliumcarbonat genannt.
Die Praxis ist ebenso simpel wie faszinierend: Man stellt ein Glas oder eine Schale mit dem Salz nachts nach draußen. Nach einer oder mehreren Nächten ist das Salz vollständig verflüssigt.
An dieser Stelle kann das Wasser entweder abdestilliert oder mit der Flüssigkeit ein ENS ausgearbeitet werden, wie es auch in unserer Sammlung auf Anfrage erhältlich ist. Eine besonders beliebte alchemistische Arbeit ist das ENS MELISSAE.
Dabei wird frische Melisse in die Lösung gegeben, und durch einen alchemistischen Trick werden die essenziellen Inhaltsstoffe sicher abgeschieden. Es entsteht ein farbiges ENS, das durch die Lebenskräfte des Engelswassers und die Wirkstoffe der Melisse besonders regenerierend wirkt.
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