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Die Sommersonnenwende und der alte Meister

  • Autorenbild: LXIR
    LXIR
  • 10. Juni
  • 5 Min. Lesezeit
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Ein dumpfer Wind rauscht durch die alten, staubigen Regale der kleinen Alchemistenhütte. In der Mitte, über einem schwach flackernden Feuer, köchelt ein Kupferkessel. Der Geruch von Eisenkraut, Ruß und etwas Unbestimmtem liegt in der Luft. In einer dunklen Ecke sitzt der alte Alchemistenmeister auf einem knarrenden Schemel, sein Rücken krumm wie der Ast eines uralten Baumes. Er blickt auf, als du eintrittst — deine Augen matt, deine Schultern schwer.


Der alte Mann schaut dich an und spricht mit rauer Stimme:„Hm… du wieder. Die Schatten kleben dir an den Fersen wie kalte Erde nach Regen. Ich seh’s an deiner Stirn – zu viele Gedanken, zu wenig Licht.“

Er zieht an einer langen Pfeife, das Kräuterwerk knistert leise.

„Du willst Hilfe…? Pah. Als ob man den Nebel mit einer Schaufel vertreiben könnte.“

Er steht langsam auf, seine Bewegungen knarzen wie altes Holz.


„Die Sommersonnenwende naht. Wenn das Licht am höchsten steht… dann wirft auch die Seele den längsten Schatten. Ein guter Moment, um etwas zu finden… das mehr heilt als bloß den Körper.“

Er schiebt dir ein altes, zerfleddertes Kräuterbuch hin — geöffnet irgendwo in der Mitte.

„Ich sage dir nicht, was du suchen sollst. Aber es blüht nur einmal im Jahr… zur Wende. Bei Tagesanbruch. Du findest es, wenn du deine Augen nicht nach innen, sondern auf den Morgentau richtest.“

Er hebt einen knochigen Finger und deutet auf ein altes Fenster, durch das fern der erste Lichtschein dringt.


„Drei Hinweise geb ich dir, nicht mehr:– Sie wächst, wo das Licht den Boden als erstes küsst.– Ihre Blüte ist gelb wie Sonnenfeuer, aber ihre Kraft liegt in den Wurzeln.– Man nennt sie nach dem, was sie vertreibt.“

Er setzt sich wieder, schweigt und zieht erneut an seiner Pfeife.


„Na los, such sie. Wenn du sie findest, findest du vielleicht auch dich.“

Großartig… Das hatte dir gerade noch gefehlt du wolltest doch nur was gegen deine dumpfe Stimmung haben und jetzt kommt der alte Meister dir mit Aufgaben. Doch vielleicht wir er sich erweichen und deinem Klagen nachgeben:

„Oh, alter Meister ihr sprecht in Rätseln. Draußen ist der Sommer in vollem Glanz erstrahlt, aber ich sitzt zuhause und gräme mich und bin zu matt und traurig rauszugehen. Und jetzt soll ich was suchen?“

 

Der alte Alchemist kneift ein Auge zusammen und pfeift leise durch die Zähne — ein Ton, der irgendwo zwischen Spott und Mitgefühl hängt.

„Ach Junge…“Er schüttelt langsam den Kopf, wobei seine dünnen weißen Haare wie Gespinste im Wind zittern.„Du willst Licht… aber fürchtest den Weg aus der Dunkelheit.“

Er steht auf, ein wenig mühsam, doch mit einem gewissen Trotz in den alten Knochen. Dann geht er langsam zum Regal, holt eine kleine, mit Ruß und Wachs verschmierte Glasflasche heraus — leer.

„Ich geb dir nichts. Kein Trank, kein Trost. Doch vielleicht eine Aufgabe, die dich aus dir selbst lockt.“

Er reicht dir das Fläschchen und legt es in deine Hände. Warm vom Ofenfeuer.

„In diesem Glas… soll der Morgentau der Wende blinken. Nicht vom Dach. Nicht aus dem Fass. Von der Pflanze, die du suchst.“Sein Blick wird schärfer, wie der eines Falken.

„Du bist traurig? Gut. Dann ist da Tiefe in dir. Und Tiefe ist gut, wenn man gräbt. Also grabe – mit Blick, nicht mit Schaufel. Ich sagte dir: Sie blüht zur Wende. Nur frühmorgens. Nur, wo das Licht zuerst küsst.

Er dreht sich um, als sei das Gespräch für ihn bereits vorbei, murmelt aber noch:

„Sag mir am Abend ihren Namen. Wenn du ihn nicht findest… dann hast du ihn vielleicht vergessen. Und das ist schlimmer als ihn nie gekannt zu haben.“


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Es hat keinen Sinn weiter darauf zu hoffen das dir der Alte hilft, wenn du dir nicht selber hilfst. Also beschließt du nun doch trotz Schwermut und Gram hinaus in den Wald zu gehen. Du kratzt dich am Kopf und gehst langsam zur Tür hinaus. Du sucht die Waldlichtung ab und setzt dich hin. Dann lässt du den Blick schweifen und hofft die Pflanze zu erspähen. Der Morgentau und Sonnenstrahl denkst du könnte deinen traurigen Blick führen.

Der Waldboden ist warm unter deinen Füßen, noch feucht vom nächtlichen Tau. Vögel singen ihr unermüdliches Morgenlied, als wollten sie dich erinnern, dass alles weitergeht, ob du nun mitgehst oder nicht.

Du erreichst eine kleine Lichtung – nicht groß, kaum mehr als ein offenes Auge im Geäst des Waldes. Die Sonne beginnt gerade, über die Baumwipfel zu kriechen. Ihr Licht gleitet in goldenen Fäden durch die Zweige, bis es den Boden erreicht – und dort… siehst du es.


Ein einzelner Fleck Gold. Eine Pflanze, vielleicht kniehoch, mit leuchtend gelben Blüten, deren Blätter wie kleine Sonnenstrahlen geformt sind. Sie scheint fast zu leuchten im ersten Licht. Die Luft um sie ist stiller als sonst, als hielte die Welt für einen Moment den Atem an.

Der Name formt sich langsam in deinem Geist… fast wie ein Flüstern aus der Erinnerung:

Na klar Teufelsflucht, der Jageteuel, das Kraut das Dunkelheit durch Lichtkräfte vertreibt. Es fällt dir wie Schuppen von den Augen - Johanniskraut.

Du weißt nicht woher du es weißt. Vielleicht aus Kindertagen, vielleicht aus dem alten Buch, das du nur halb gelesen hast. Aber du weißt: Diese Pflanze trägt das Licht in sich. Man sagt, sie vertreibe Melancholie, stärke den Geist, helfe gegen die dunklen Schatten im Herzen der Traurigen.


Und sie blüht – nur zur Sommersonnenwende.

Vorsichtig gräbst du die Pflanze aus und bringst sie zum Haus des Meisters.

Der Tau glänzt wie winzige Sterne in deinem Fläschchen. Die Wurzeln der Pflanze sind noch feucht von der Erde. Du hast sie mit bedacht ausgegraben – nicht aus Gier, sondern aus Ehrfurcht. Als du dich auf den Weg zurück zur Hütte machst, scheint selbst der Wind sanfter zu wehen, als hätte er deinen Entschluss verstanden.

Die Tür der Alchemistenhütte steht offen. Der Meister sitzt wie zuvor auf seinem Schemel, den Rücken zu dir gewandt. Als du eintrittst, spricht er, ohne sich umzudrehen:

„Na endlich. Ich habe schon gedacht, du bleibst bei den Schatten sitzen und fütterst sie mit deinen bösen Gedanken.“

Langsam dreht er sich um, und als er die Pflanze und das Taufässchen sieht, blinzelt er. Vielleicht aus Überraschung. Vielleicht, weil ihm eine Fliege ins Auge flog. Man weiß das bei ihm nie so genau.

Er nimmt die Pflanze vorsichtig entgegen. Betrachtet sie. Berührt das Fläschchen mit dem Tau.


„Hypericum perforatum…“, murmelt er. „Sie trägt das Licht nicht nur in der Blüte, sondern in ihrer Seele. Genau wie du, Junge… auch wenn du es vergessen hast.“

Dann schaut er dich an – mit ernsten, aber nicht unfreundlichen Augen.

„Du hast sie gefunden. Und das heißt: Du hast den ersten Schritt gemacht. Da will ich heute mal nicht so sein.“


Er geht zu seinem Apothekerschrank aus altem Eichenholz und holt ein Fläschchen heraus.

„Hier nimm dieses es ist die wahre Tinktura aus dem Johanneskraut. Wenn du breit bist, wirst du selbst verstehen sie zu bereiten…“

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