Negredo - Tod und Schwärze
- LXIR

- 2. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Wieder sind die Monate ins Land gezogen und die warmen Tage sind den kühlen gewichen. Ehe wir uns versahen, war der Sommer vorüber, und der Herbst hat die Natur nun fest in seiner Hand. Mal hängen Nebelschwaden über den Berghängen und hüllen die Welt in düsteres Schweigen, mal wehen heftige Winde ihre angestaute Macht über der Welt aus. Es ist die Zeit, in der langsam, aber sicher die Dunkelheit zurückkehrt und mit ihr der Zustand alchemistischer Schwärze. Doch möge die Negredo selbst das Wort erhalten und uns berichten von ihrem Wirken. Jetzt, wo sie aus saturnischen Höhen erneut in die Welt hinabgestiegen ist, um zu ernten und die Dinge und Angelegenheiten der Natur im Kreislauf des Seins - Tod und Verfall zu überreichen.
Oh, Wanderer des Weges. Unerschrockener, der sich traut, meinen Worten zu lauschen. Ich bin die Dunkelheit des Vergehens, das Ende des Lebens. Wenn ich komme, dann gibt es kein Verhandeln, kein Tricksen und keine Ausflüchte. Ich bin der notwendige Abschluss eines jeden Zyklus. Du hast recht gehört. Ich gehöre zu jedem lebenden Wesen dazu. Ich bin durch sein Werden automatisch an ihn gebunden, um einst sein Vergehen sein zu können. Wenn ich einkehre, vergeht die eben noch blühende Natur um euch herum, vergeht der eben noch lachende und vor Kraft strahlende Körper der Menschen und Tiere. Wenn die Todesengel der Sphären die Seelen- und Lebenskräfte von dieser Ebene der Existenz fortnehmen wollen, dann ist meine Zeit gekommen. Ich bringe das Unvermeidliche – ignoriert von den allermeisten, gefürchtet von wenigen aber ersehnt bin ich nur äußerst selten.
Doch wie auch immer man mir gegenüber eingestellt ist, es kümmert mich nicht. Ich komme immer am Ende der Zeit - zu jedem. Alles, was zusammengestellt und aufgebaut ist, muss ich zerstören. Alles, was gebunden ist, muss ich lösen und in die schwarze Nacht des Chaos zurückführen.
Doch verstehe mich nicht falsch: Ich hasse und liebe euch nicht. Ich bin, was ich bin, und erfülle nur meine Aufgabe. Die dunkle schwarze Nacht, der Schleier des Chaos – das ist mein Sein. Finsternis ist mein Wesen. Ich hause dort, wo alles Potenzial liegt, doch alle Ordnungen aufgehoben und alle Bindungen zerstört sind.
Schau nicht so traurig! Niemand von euch ist auf die Erde gekommen, um zu bleiben. Ihr alle seid Todgeweihte. Ihr alle werdet mir früher oder später begegnen. Und ja, es ist nicht meine Schuld, dass ihr euch an die Schätze dieser Welt bindet und eure Herzen an sie fesselt und dann traurig seid, wenn ich euch alles nehme. Es ist nicht meine Schuld, dass ihr mich hasst und mich scheut und - ihr fallt fast in Wahnsinn, nur weil ich euch einen nach dem anderen zurückführe, bis niemand mehr da ist und keiner übrigbleibt. Eure Narrheiten im Unverständnis der Dinge sind nicht mein Verschulden. Das meiste eures Leides ist ein Spiel nur eurer Illusionen.
Warum also stellt ihr euch so an? Schaut genauer! Schaut tiefer! Und ihr werdet mich in vielen Details eures Seins viel früher finden, lange bevor der große Abschied von dieser Welt ansteht. Ihr werdet mich dann als hilfreich erkennen, als Verbündete im eigentlichen Werk eurer Reise.
Ja, gewiss, was hattet ihr gedacht? Lasst mich euch ein Beispiel geben: Ihr seid wie eine Person, die über eine Brücke geht. Auf der einen Seite ist eure Geburt, und auf der anderen Seite steht der Tod. Ihr seht mich nur am Ende stehen, doch ich stand bereits am Anfang. Ich beendete den Zustand eures Seins vor der Geburt und begleitete euch auf die Brücke eures Lebens. Die Schwärze des Mutterbauches ist auch die meine. Denn meine Schwärze ist der Beginn des großen Werkes.
Ihr seht, wie nah ich euch bin. Denn in der Schwärze meiner Nacht liegt der Beginn des Neuen. Erst muss das Alte sterben, damit das Neue entstehen kann. Erst muss das Alte in die Nacht treten, damit ein neuer, besserer Tag anbrechen kann. Erst muss die Raupe sich in ihrem Kokon zersetzten, um als Schmetterling neu zusammen gesetzt zu werden. Also reicht mir die Hand, ihr Wanderer des Weges, und findet in meiner Dunkelheit das Geheimnis des Werkes - eures Werkes.



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